„Freiheit – eine Utopie?“


Warum auf sehr lange Sicht das Staatskonstrukt scheitern wird

Die Freiheit ist eine faktische Utopie. Sie ist keineswegs eine logische Utopie, sondern verdankt ihren – gemessen an den realen Zuständen in der Welt – utopischen Charakter der Tatsache, dass unsere Spezies das, was man „menschliche Schwächen“ nennt, vielleicht nie wird ablegen oder überwinden können. Die Theorie der Freiheit, das wissen wir spätestens seit Mises, Rothbard, Hoppe, Jasay und Rockwell, ist in sich schlüssig, also keineswegs utopisch nach den Maßstäben der Logik und der Erkenntnistheorie. Freiheit ist die einzig mögliche und einzig denkbare Bedingung für die Gestaltung des menschlichen Lebens jenseits von Sklaverei, Massenmord und Hungertod. Dies gilt jedenfalls für Gesellschaften, welche die Größe der Steinzeithorde überschreiten. Wenn dem so ist, warum leben die Menschen dann – diesem Faktum zum Trotz – nirgendwo auf dem Globus in völliger Freiheit?

Dass die Freiheit des Menschengeschlechts in der gelebten Realität eine Utopie bleibt, liegt darin begründet, dass diese Freiheit anthropologisch anspruchsvoll ist und immer wieder den Folgen der menschlichen Schwächen zum Opfer fällt. Von diesen Schwächen seien hier nur die wichtigsten genannt. Es wird dabei nicht der Versuch unternommen, sie nach dem Ausmaß zu gewichten, in welchem sie die Freiheit verhindern oder behindern oder gefährden. Die Reihenfolge der Darstellung bleibt also ohne absichtlichen Belang für ihr Gefahrenpotenzial.

Da wäre zunächst die Schwäche zu benennen, dass wir noch immer mit „Steinzeithirnen“ zurechtkommen müssen. Der Hydrobiologe Edgar Gärtner hat dieses Phänomen in mehreren Publikationen meisterlich thematisiert. Rund eineinhalb Millionen Jahre lang haben die Menschen als Jäger und Sammler in kleinen Gruppen und Horden gelebt, die nicht mehr als 150 Köpfe umfassten. Erst vor etwa 10.000 Jahren hat der homo sapiens infolge des Übergangs zu Ackerbau und Viehzucht gelernt, größere Gemeinschaften zu bilden. Das Anführer-Prinzip der Horde konnte und musste nun durch etwas anderes ersetzt werden. Es gibt aber nur zwei Methoden, um Probleme in größeren Kollektiven zu bewältigen, nämlich den Markt und die Bürokratie. Wobei der Markt die wesentlich erfolgreichere und einzig friedliche ist.

Nun funktioniert der Markt (oder die Marktwirtschaft) nach ökonomischen Gesetzen, die der menschlichen Erkenntnis nicht unmittelbar zugänglich sind, sondern nur nach intensiver Beschäftigung mit dem Theoriegebäude der Ökonomie verstanden werden können. Und das gestaltet sich umso mühsamer, als das menschliche Gehirn biologisch-neurologisch noch den Steinzeitbedingungen verhaftet ist. Die 10.000 Jahre seit dem Neolithikum waren evolutionsbiologisch viel zu kurz, als dass sich unsere Hirnstrukturen dem Wandel von den Erfahrungswelt-Notwendigkeiten der Frühmenschen hin zu den Wissenswelt-Anforderungen der Großgesellschaft hätten anpassen können. Das Wissen um den Wesenskern der Marktwirtschaft – und damit der Grundbedingung der Freiheit – bleibt beim weitaus größten Teil der Menschheit noch für Tausende, vielleicht sogar für Hunderttausende von Jahren „unterbelichtet“. In den Worten von Friedrich A. von Hayek in „Recht, Gesetzgebung und Freiheit“: „Der Hauptgrund dafür, dass die Menschen nicht glauben wollen, dass eine gesellschaftliche Ordnung existiert, obwohl niemand sie „gemacht“ hat, ist, dass solche Ordnungen wie die des Marktes sich nicht unseren Sinnen aufdrängen, sondern von unserem Verstand aufgespürt werden müssen.“ Wir können diese Ordnung sinnvoller Handlungen nicht sehen oder auf andere Weise intuitiv wahrnehmen, sondern sind nur fähig, sie geistig zu rekonstruieren, indem wir die Beziehungen verfolgen, die zwischen den Elementen bestehen. Dies ist ein wesentlicher Grund für die ständige Gefährdung der Freiheit, denn „Freiheit“, schreibt der derzeitige Präsident der „Foundation for Economic Education (FEE)“ Richard M. Ebeling, „ist ein leeres Wort, wenn das private Eigentum nicht respektiert wird und wenn nicht alle menschlichen Beziehungen auf Zustimmung beruhen“ – und beides ist nur in einer freien Marktwirtschaft gegeben, in einer Ordnung, die sich leider den Menschen nicht intuitiv erschließt.

Man kann das auch in den Worten von Franz Oppenheimer ausdrücken – und damit zugleich auf eine weitere Form freiheitsfeindlicher menschlicher Schwächen zu sprechen kommen: Es gibt nur zwei Wege zur Erlangung von Reichtum oder Wohlstand, nämlich den wirtschaftlichen und den politischen. Der wirtschaftliche Weg bedeutet Produktion und Handel, also den friedlichen Tausch zum wechselseitigen Wohl aller Beteiligten (Produzenten, Händler, Arbeiter und Konsumenten). Der politische Weg bedeutet Anwendung von Zwang und Gewalt, um eine Gruppe auf Kosten anderer zu bereichern. Entweder, indem man den einen nimmt, was man selber haben will und womit man andere zu Zwecken des Macht- und Reichtumsgewinns bestechen kann. Oder indem man sich zum selben Zweck Vorteile gegenüber konkurrierenden Gruppen verschafft. Hier sind also Faulheit und Gier im Spiel. Es ist leichter, von Wohlfahrtsleistungen zu leben als von mühseliger Arbeit. Und es ist bequemer, einen Farmbetrieb mit Subventionen zu betreiben als im freien Wettbewerb. Der Staat appelliert an die niedrigsten Instinkte der Menschen und generiert dabei ein Machtmittel, das der physischen Gewalt ebenbürtig ist: die Umverteilung. Denn indem er den einen nimmt und den anderen gibt oder zu geben verspricht, wird er für die Menschen attraktiv und gewinnt die Gefolgschaft der Empfängergruppen. Nebenbei kann er auf diesem Weg für sich und seine Bürokratenheere kräftig absahnen. Er betreibt also eine Art „sanften Bürgerkrieg“ und das zerstört die Freiheit, weil es die Eigentumsrechte und die Prinzipien der Friedlichkeit und der Freiwilligkeit verletzt.

Zugleich befriedigt der Umverteilungs-Schacher den neben dem Sexualtrieb wohl mächtigsten Instinkt im Menschen, den Neid. Helmut Schoeck hat seinem klassischen Werk „Der Neid“ zurecht den Untertitel gegeben: „Eine Theorie der Gesellschaft“. Es ist der „relative Reichtum“, der den Menschen am Vagus nagt: Geld verleiht Status. Deshalb beneiden die Leute andere, die reicher sind. Sogar die Reichen beneiden die sehr viel Reicheren. Die Menschen hassen es, wenn es ihren Nachbarn besser geht als ihnen selber. Deshalb befürworten sie Steuern, Kontrollen und Regulierungen – und das heißt, sie favorisieren eine kollektivistische Gesellschaft. Damit mästen sie Leviathan und hungern die Freiheit aus.

Unserem Steinzeiterbe entstammen auch die Furcht vor dem Unbekannten sowie das generelle Misstrauen gegenüber Fremden. Während die arbeitsteiligen Prozesse der Marktwirtschaft – national und international – permanente Kooperation mit unzähligen, oft einander völlig unbekannten Leuten erfordern, sowie ein großes Maß an Vertrauen in die Beteiligten des Marktgeschehens, seien sie uns bekannt oder unbekannt, sprechen unsere Instinkte eine andere Sprache. Wir tragen ein Urmisstrauen gegenüber allen Menschen in uns, die nicht unserem unmittelbaren Familien- und Freundeskreis angehören. Eine seltsame Einstellung. Denn die Marktprozesse erzwingen verlässliches und „anständiges“ Verhalten, weil nur diejenigen im Markt längerfristig Erfolg haben, die nicht betrügen, und auf die dauerhaft Verlass ist. Der Betrüger ist immer nur ein Kurzfristgewinner. Eigentum und Markt erzwingen Wohlverhalten und gebären Ordnung – und nicht umgekehrt, wie die meisten Leute glauben.

Aus der falschen Umkehrung des wahren Satzes „property breeds order“ (Eigentum bringt Ordnung hervor) geht automatisch die Meinung einher, Staat und Politik müssten für Recht und Ordnung sorgen. Und das gerät wiederum zum etatistischen Dynamo für die Staatsmacht und zum Totschlagargument gegen die Freiheit. Aus Macht, Zwang und Gewalt können aber niemals Recht, Gerechtigkeit, Frieden und Moral entstehen, sondern nur Streit und Kampf, Unrecht und Ungerechtigkeit, Unmoral und Betrug, Raub und Diebstahl. Fragt man einen beliebigen Gesprächspartner, ob er sich denn „schlechter“ und „böser“ verhalten würde, wenn es morgen keine Regierung und keine Politik mehr gäbe, dann antwortet er aus tiefster Brust: „Natürlich nicht.“ Zugleich aber ist er überzeugt davon, dass dies bei allen anderen Menschen anders wäre, dass also ohne die von der politischen Kaste gesetzte Zwangsordnung unweigerlich Chaos und Bürgerkrieg, unmoralische Zügellosigkeit und Massenkriminalität ausbrechen würden. Auch nach 10.000 Jahren und schrecklichen Erfahrungen mit allen politischen Machtgebilden der Geschichte haben wir noch immer nicht begriffen, dass moralischer Halt, tugendhaftes Verhalten und aufrichtiger Gemeinsinn – und damit die moralischen Grundlagen der Freiheit – nur in der Familie, in Freundeskreisen, durch Vorbild und Tradition, durch Religion und Moralphilosophie, aber auch als Erfolgsbedingung am Markt, eingeübt werden können – und eben nicht durch politische Propaganda und staatsverschulte Indoktrination. Wer den Staat als Garanten der Moral betrachtet, wird sich alsbald einem gesinnungsdiktatorischen Monster gegenübersehen.

Zu unserem Steinzeiterbe gehört auch die latente Neigung, die Verhaltensregeln der kleinen, „warmen“ Gemeinschaft wie Familie und Freundeskreis auf die Gesellschaft übertragen sehen zu wollen. Während wir in der engen Familien- und Freundesgruppe einfühlsam und liebevoll „jeden nach seinen Bedürfnissen“ behandeln können, nach seinen Neigungen, Fähigkeiten und Veranlagungen, nach seinen Stärken und Schwächen, kann die anonyme, „kalte“ und arbeitsteilige Großgesellschaft nur nach abstrakten Regeln funktionieren, die für alle gleich sind und für alle gleichermaßen gelten. Mit den Worten von Hayeks ausgedrückt, müssen wir lernen, „in zwei verschiedenen Welten zu leben“. Jeder Versuch, die Regeln und Normen der kleinen Face-to-Face-Gemeinschaft auf die Gesellschaft zu übertragen, führt unmittelbar zum Totalitarismus, zu Diktatur und Knechtschaft, zu Masseninhaftierung und Gulag, zu Hunger und Elend breiter Bevölkerungsschichten. Das ist der Wesenskern eines jeden Sozialismus und Kommunismus, aber auch, in gemilderter Form, des Wohlfahrtsstaates. Im 20. Jahrhundert sind Freiheit und Zivilisation auf dem halben Globus an solchen Versuchen zugrunde gegangen. Und ein Ende des Wahns ist keineswegs abzusehen.

Kommen wir zu einem abschließenden, wenn auch beileibe nicht dem letzten Aspekt der Freiheitsfeindschaft, die aus menschlicher Schwäche resultiert: der Angst. Die Furcht nicht nur vor fremden Personen, sondern vor allem Neuen und Unbekannten ganz generell, ist eine Urbefindlichkeit der Menschen – und damit zugleich ein mächtiges Werkzeug der Politik. Trefflich und kurz hat der Philosoph Wolfgang Sofsky in „Das Prinzip Sicherheit“ die Beziehung zwischen Freiheit und Angst oder Unsicherheit dargelegt, indem er schreibt: „Freiheit erzeugt Unsicherheit. Eine Freiheit, die nicht missbraucht werden kann, ist keine. Freiheit schließt nicht die Pflicht ein, Gutes zu tun. Vielmehr bietet Freiheit die Chance, Böses zu tun – und dafür die Konsequenzen zu tragen. Untaten sind nicht das Ergebnis der Freiheit, sie sind ihr Beweis. Freiheit ist keine Tugend, sondern die unabdingbare Voraussetzung aller Tugend.“

Aber die meisten Leute ziehen eine erzwungene Vorhersehbarkeit der unkontrollierten Freiheit vor, genauso wie sie ein mäßiges, aber sicheres Einkommen mehr schätzen als große, aber ungewisse Gewinne. Zu welch gigantischem Machtwerkzeug die politische Kaste die Angst der Menschen schmieden kann, zeigt sich aktuell im unablässigen Schüren der Klima-Hysterie. Kaum ein Bürger ahnt, welch ein perfides Spiel hier – gegen alle seriösen wissenschaftlichen Erkenntnisse – betrieben wird. Christian Bartsch hat es in der „FAZ“ vom 27. März 2007 auf den Punkt gebracht: Das Kyoto-Protokoll ist „die unsinnigste Geldvernichtungsmaschine, die Politiker erfinden konnten. Das Ergebnis der nachhaltigen ökologischen Ausrichtung wird eine stete Verarmung der heute noch reichen Industrieländer mit Deutschland als Vorreiter zur Folge haben. Sie mutierte inzwischen zur schlimmsten Selbstverstümmelung, die sich Menschen ausdenken konnten, weil sie unweigerlich in eine weltumspannende Klimadiktatur münden wird.“

Es gelten eben die alten Weisheiten: Wer Sicherheit vom Staat erwartet und bereit ist, dafür einen Teil seiner Freiheit zu opfern, wird letztlich beides ganz verlieren: alle Sicherheit und alle Freiheit. Da die Schützer genauso mit Schwächen behaftet sind wie alle anderen Menschen – zugleich aber mit dem Gewaltmonopol ausgestattet sind, und weil sie zudem alles, was sie tun, mit fremdem Geld bezahlen, werden sie uns alle mit makabrer Gewissheit zu Tode schützen. „Der Drang, die Welt zu retten“, hat H.L. Mencken schon vor langer Zeit geschrieben, „ist fast immer nur die Maske des Dranges, die Welt zu beherrschen.“ Und Wolfgang Sofsky hat ebenso meisterlich formuliert: „Nicht nur mit Geld zahlen die Menschen für die Fiktion der Sicherheit, sondern auch mit dem wertvollsten, worüber sie verfügen, mit ihrer Freiheit. Der größte Profiteur ihrer Angst ist der Staat.“

Als Licht am Ende des Tunnels erscheint die Tatsache, dass es sich beim Staat um eine logische Utopie handelt. Die zwei Pfeiler, auf denen die Anscheins-Legitimation des Staates als Inhaber des Gewaltmonopols ruht, sind: Erstens die Behauptung, er könne am besten und sichersten die Eigentumsrechte – Eigentum einer jeden Person an ihrem Körper, ihrem Leben und ihren rechtmäßig erworbenen materiellen Mitteln – vor ungerechten Verletzungen und Aggressionsakten schützen. Und zweitens, es gäbe „geborene öffentliche“ Güter, das heißt: Güter, die nur der Staat bereitstellen könne oder die der Staat besser als der Markt bereitstellen könne. Beide Argumente sind falsch. Zum ersten: Zur Ausübung der eigentumsrechtlichen Schutzfunktion muss der Staat genau diese Rechte gewaltsam verletzen, indem er sich die benötigten finanziellen Mittel gewaltsam beschafft. Was sich beim Staat als Besteuerung und Geldentwertung darstellt, wird im privaten Leben der Menschen als Raub, Diebstahl und Falschmünzerei bezeichnet und strafrechtlich geahndet. Der vorgebliche Schützer namens Staat ist also in Wahrheit der eigentliche Aggressor. Zum zweiten: Spätestens seit den um die Mitte des 20. Jahrhunderts erschienenen Werken des Nobelpreisträgers Ronald Coase gehört es zum Standardwissen der Ökonomen, dass es zu staatlichen Leistungen immer eine marktwirtschaftliche Alternative gibt, und dass der Markt die betreffenden öffentlichen Güter besser, effizienter und billiger bereitstellen könnte. Somit sind die Legitimationsargumente für die Existenz des Staates vom Tisch. Es sind Mogelpackungen – und der Staat ist nach den Regeln der Logik eine Utopie.

Es steht die Frage im Raum, wer letztlich siegen wird: die faktische Utopie namens Freiheit oder die logische Utopie namens Staat? Ich tippe auf sehr lange Sicht auf die Freiheit. Denn Fakten können sich ändern, die Logik nicht.

(Literatur:  „Totgedacht – Warum Intellektuelle unsere Welt zerstören“ (2002) )

aus:  eigentümlich frei – Nr. 73 – Juli 2007 – S. 52-54