„Prolog: Schlacht gegen die Realität“

 

Jetzt ist sie da, die lange Sicht…

Aus dem 700-Milliarden-Paket der US-Regierung zum staatlichen Ankauf illiquider Bank-Aktiva werden zwar rasch tausend und mehr Milliarden werden, aber auch 700 Milliarden Dollar sind eine unvorstellbare Menge. In aufeinandergelegten 100-Dollar-Scheinen ergeben sie einen Stapel von 762 Kilometern Höhe. Nicht sehr viel niedriger ist der 500-Milliarden-Euro-Turm von Merkel und Co. Werden diese babylonischen Türme die Finanzkrise lösen oder wenigstens mildern? Nein, sie werden zwar die schlimmsten Krisenereignisse hinauszögern, diese aber insgesamt verschlimmern und verlängern. Ginge es nur um die sich im einstelligen Milliardenbereich austobende Subprime-Krise (faule Hypothekenschulden), so könnten 700 bis 1.000 Milliarden einen deutlichen Mässigungseffekt bewirken. Aber es klopfen derzeit und fortan noch ganz andere Monster an die Türen der Finanzwelt. Bei den CDS beispielsweise, den sogenannten Credit Default Swaps (Kreditausfall-Versicherungszertifikaten, die an den Finanzmärkten ein Eigenleben als Anlagepapiere entwickelt haben) sind rund 60.000 Milliarden Dollar im Feuer – und damit mehr als die Summe aller auf dem Globus gehandelter internationalen Anleihen. Ein anderer Vergleich: 60.000 Milliarden entsprechen dem Nettogesamtvermögen aller Amerikaner und mehr als dem Vierfachen des US-Sozialprodukts.

Doch auch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Gesamtvolumen der Derivate genannten Finanzinnovationen, die der Milliardär Warren Buffett „Massenvernichtungswaffen“ genannt hat, bewegt sich bei 550.000 Milliarden, was dem Zehnfachen des Weltsozialprodukts entspricht. Sollten nur zehn Prozent davon im Deleverage-Prozess, der an den Finanzmärkten und in den Bankbilanzen abläuft, notleidend werden, dann würde sich der gesamte Staatshaushalt der USA dagegen wie ein Trinkgeld ausnehmen. Aus dem „too big to fail“ der grossen Banken und Finanzinstitute der Welt ist inzwischen ein „too big to be saved“ geworden. Niemand kann diese Summen mehr stemmen. Allein die Bilanzsumme der Deutschen Bank entspricht rund 80 Prozent des deutschen Sozialprodukts, und bei kleineren Ländern sehen die Relationen noch ganz anders aus; so entsprechen zum Beispiel die Bilanzsummen der beiden grössten Schweizer Banken dem Siebenfachen des eidgenössischen Bruttoinlandsprodukts. Auch „der Staat“ als Retter ist angesichts solcher Horrorzahlen hoffnungslos überfordert. Island, obwohl ein fast staatsschuldenfreies Land, hat es bereits vorgeführt.

Schuldige am derzeit (und noch lange) ablaufenden Drama sind von den politischen Zampanos und den Medien schnell gefunden. Es sind diese die Gier, die mangelnde Staatsaufsicht, der Herdentrieb, die Masslosigkeit, das Spekulantentum, die „verlorene Bodenhaftung“, der Illusionismus etc., kurz: der Neoliberalismus und der Kapitalismus, natürlich angereichert mit den Beiwörtern Turbo und Raubtier. Das ewig alte Lied. In Wahrheit sind die negativen oder fragwürdigen Eigenschaften der Menschen in allen Ordnungen und Systemen virulent, am wenigsten aber im Kapitalismus – im echten Kapitalismus, weil dort ein jeder für seine Handlungen haftet und Fehler mit seinem eigenen Geld bezahlt. Aber wir haben keinen Kapitalismus, nirgendwo auf der Welt. Denn zum Kapitalismus gehört unabdingbar kapitalistisches Geld, also Marktgeld (jahrhundertelang das Gold) statt staatsmonopolistisches Scheingeld. Und zum Kapitalismus oder der Marktwirtschaft gehört unabdingbar der freie, natürliche Zins – und nicht der zentralplanwirtschaftlich manipulierte Zins der Zentralbanken. Den wichtigsten Preis einer Volkswirtschaft, den Zins als den Preis des Geldes, zentralplanerisch vorzuschreiben und beliebig hoch und runter zu setzen, ist sozialistischer Wahnwitz, der den Markt sukzessive entarten lässt und letztlich erwürgt und zerstört. Was „versagt“ und zur aktuellen Krise geführt hat, ist nicht der Kapitalismus, sondern – wieder einmal – der Sozialismus. Der Markt hingegen funktioniert hervorragend. Er leitet die heisse Luft der Kreditgeldstürme zuerst in Blasen, und wenn diese zu gross geworden sind, lässt er sie platzen und vernichtet den Scheinreichtum schneller als er entstanden ist.

Das substanzlose, beliebig vermehrbare Papiergeld und die nur mit dieser Falschgeld-Schmiere laufenden Turbo-Kreditmaschinen der Zentralbanken (allen voran die Greenspan-Düsen), des Teilreserven-Bankensystems und der Staatsausgaben haben dazu geführt, dass die Geldmenge in den USA (aber auch in anderen Industrienationen) in den letzten 15 Jahren doppelt so schnell gestiegen ist wie das Sozialprodukt, die Staatsverschuldung sogar dreimal so schnell. Ob man es wahrhaben will oder nicht: Die USA und die übrigen Industriestaaten sind pleite, und das auf dem Dollar basierende Weltfinanzsystem wird uns alsbald um die Ohren fliegen. Babylon ist am Ende. Game over. Da die Billionen, die jetzt zur (scheinbaren) Rettung eingesetzt werden, wiederum aus Schulden bestehen, entsprechen die jetzigen Feuerwehreinsätze einem Löschen der Brände mit Benzin. Die Fehler, die zur Zeit der Grossen Depression der 30iger Jahre gemacht wurden, werden nun in Magnum-Dimension wiederholt. Schwere und Dauer der Weltwirtschaftskrise wurden damals von der interventionistischen Politik zunächst der Hoover- und dann der Roosevelt-Regierung verursacht. Sie verhinderten mit Kaskaden von „New Deal“-Massnahmen die Rückanpassung der Preise, der Löhne und der Beschäftigung an eine nicht-inflationäre Wirtschaft. Damit wurde die damals fällige Rezession von vielleicht zwei oder drei Jahren zu einer Weltdepression ausgeweitet, die sich eineinhalb Jahrzehnte hinzog und schliesslich in den Zweiten Weltkrieg mündete.

Die grossen Boom-and-Bust-Zyklen, die Blasen und Zusammenbrüche, die unaufhörliche Teuerung und die wahnwitzigen Ausschläge der Zinsen nach oben und unten: Alles das sind Erscheinungen, die zur Zeit des Gold- und Silber-Münzgeldes und des Goldstandards unbekannt waren. Sie begannen mit der Abkehr der Nationen von der Goldwährung zu Beginn des Ersten Weltkriegs und mit der Gründung der amerikanischen Zentralbank 1913. So richtig in die Senkrechte starteten die Geldangebotskurven – und damit die Kredit- und Verschuldungsraketen – dann 1971, als die letzte Restbastion der Goldkonvertibilität des US-Dollars (Konvertibilität des Dollars in Gold gegenüber internationalen Zentralbanken) geschleift wurde. Es ist ja gerade die Anker- oder Kettenfunktion gegen willkürliche Geldvermehrung, die Gold als Geld so wertvoll macht. Die Hunde der Inflation stehen immer bereit, denn was könnte schöner sein für die politische Kaste als sich Macht und Pfründe mit beliebig vermehrbarem Papiergeld kaufen zu können. Sobald man die (goldene) Kette sprengt, rasen die Hunde los und zerfleischen die Zivilisation. Und das erst erzeugt das finanzielle Fehlverhalten aller Mitspieler an den Finanzmärkten, der Bank- und Finanzmanager aller Art, der Finanzminister und Unternehmen, der Häuslebauer und Geldanleger, der Aktionäre und Kreditkarten-Konsumenten. Es ist die Politik mit ihrem papierenen Falschgeld und ihren Druckmaschinen namens Zentralbanken, die zu uferlosen Kredit- und Verschuldungsflutungen verführt. Es ist die Politik, die versagt hat und nun (wieder einmal) dramatisch scheitert, nicht der Markt.

Die grösste Schuld am finanziellen und demnächst auch realwirtschaftlichen Desaster tragen die Ökonomen, der Riesenpulk an Mainstream-Ökonomen (mit Ausnahme also der relativ kleinen Gilde, die in der Tradition der Österreichischen Schule der Nationalökonomie steht). Die Mainstreamer unterteilen sich im Grossen und Ganzen in nur zwei Arten: Staatsangestellte und Bankangestellte. Beide sind Diener und Knechte des herrschenden Papiergeldsystems und verdienen prächtig daran. Sie – und nur sie – hätten das Publikum aufklären können und müssen. Schon lange. Sie hätten die Politiker mahnen sollen, sie hätten das Interessenkartell aus Politik und Hochfinanz aufdecken müssen, den Scheingeld-Zauber und Kreditwahn des bestehenden Finanzsystems anprangern und die Bürger permanent über das zerstörerische Potenzial des ungedeckten Papiergeldes aufklären sollen. Stattdessen haben sie die Hörsäle und Seminarbibliotheken der Universitäten mit keynesianischen und monetaristischen Lügen und Irrtümern gefüllt und sich als Ingenieure einer als Knopfdruckmaschine dargestellten Volkswirtschaft aufgespielt. Sie haben seit 50 Jahren nur ökonomische Mythen verbreitet, allen voran den Mythos vom Konsum als der angeblich wichtigsten Komponente einer Volkswirtschaft – und somit auch von niedrigen, konsum- und kreditanregenden Zinsen als Wachstumsmotor. Sie, die nicht mehr wissen, dass sich Inflation als Geldmengenausweitung definiert, behaupten seit einiger Zeit sogar, dass es keinen messbaren Zusammenhang mehr gebe zwischen Geldmengenexpansion und Preisinflation – und dass man deshalb die „zweite Säule“ der Zentralbankorientierung bei der Geldpolitik, die Beobachtung der Geldmengenentwicklung, aufgeben sollte. In Wahrheit besteht fast eine Eins-zu-Eins-Korrelation zwischen der M3-Entwicklung und der Güterpreisinflation – mit einer Zeitverzögerung von rund einem Jahr. Man darf nur nicht den Fehler begehen, die Vermögensgüterpreise (Aktien, Immobilien etc.) in der Inflationsstatistik aussen vor zu lassen und die vorübergehende Preisdämpfung durch die China-Importe der nationalen Preisstabilität zuzuschreiben. Aber die Nicht-Austrians unter den Ökonomen (also fast alle) halten es lieber mit dem Keynes-Satz, dass wir „auf lange Sicht alle tot sind“. Nun, jetzt ist sie eben da, die lange Sicht, aber wir leben immer noch.

Die aktuelle Krise, die sich alsbald in eine depressive Hyperinflation ausweiten wird (Zerfall der Vermögenswerte bei gleichzeitig rasantem Anstieg der Konsumgüterpreise), könnte – so schlimm sie ist und noch werden wird – wenigstens den Sinn haben, dass Politiker und Ökonomen daraus lernen. Doch so wenig diese etatistischen Eliten aus der Grossen Depression der Dreissiger Jahre gelernt haben, so wenig werden sie auch diesmal die richtigen Lehren aus dem Desaster ziehen. Die intellektuelle Schlacht gegen die Realität und gegen die unabänderlichen ökonomischen Gesetze geht weiter. Friedrich A. von Hayek, Nobelpreisträger und wohl der Einzige unter den „Österreichern“, dessen Stimme man weltweit vernehmen konnte, hatte recht, als er in seinem Alterswerk über die Entnationalisierung des Geldes schrieb, „die Zeit mag kurz sein“. Sie war kurz und man hat sie nicht genutzt. Im selben Buch hat Hayek gemahnt, dass es bei der von ihm dringlich angemahnten Entstaatlichung des Geldes (vermittels Übergang zu konkurrierendem Privatgeld) um nicht weniger gehe als um das Überleben der Zivilisation. So ist es, und wir sollten deshalb wieder das Klettern lernen, wenn wir zurück auf die Bäume müssen.

 

aus Eigentümlich frei, Nr. 87, Oktober 2008