“Finanzieller und intellektueller Bankrott”

700 Milliarden Dollar schwer ist das Paket, das US-Finanzminister Henry Paulson und der amerikanische Kongress kürzlich zwecks Ankaufs illiquider Bank-Aktiva geschnürt haben. Um sagenhafte 700 Milliarden ist auch die amerikanische Staatsschuld (per 20.10.2008) innerhalb weniger Wochen gestiegen. Zur Veranschaulichung: 700 Milliarden Dollar ergeben – in 100$-Scheinen aufeinandergelegt – einen Turm von 762 Kilometern Höhe. Der Babylonische Turm war ein Mückenschiss dagegen.

Die Europäer haben bislang mit sog. „Liquiditätshilfen“ von rund tausend Milliarden Euro reagiert. Eine „stratosphärische“ Dimension. Doch das alles ist nichts gegen das Volumen der in der Finanzwelt zirkulierenden Derivate. Diese haben mit 600.000 Milliarden Dollar den 12-fachen Umfang des Weltsozialprodukts (von 50.000 Mrd. $) angenommen.

Auf die globale Maximalverschuldung in einem in der Weltgeschichte niemals gekannten Ausmass reagieren die Staatslenker und Zentralbanken der Erde mit neuen Schulden astronomischen Umfangs. Das Liquiditätsproblem wird damit zwar gemildert, aber das Grundproblem, die Gigaverschuldung, wird verschlimmert. Die faulen Zahlen bleiben in den Büchern, die falschen Investitionen werden fortgeführt. Die Feuer werden also mit Benzin gelöscht. Entsprechend schrecklich und langjährig werden die Folgen sein. Bis hin zu Reihum-Staatsbankrotten und „Währungsreform“ genannten Totalenteignungen der Sparer. Ob relativ rasche abgrundtiefe Depression oder jahrzehntelang dahinmarodierender Niedergang, ob scharfe Deflation oder Hyperinflation, ob beides nebeneinander oder nacheinander: Die Welt, wie wir sie kennen, wird es bald nicht mehr geben – und vielleicht die Zivilisation auch nicht mehr.

Die Schuldigen sind (mal wieder) rasch gefunden: Die gierigen Anleger, die ver-antwortungslosen Banker, die masslosen Spekulanten, die unersättlichen Manager, das Herdenverhalten und die mangelnde Staatsaufsicht, kurz: der „Neoliberalismus“ und „Turbo-Kapitalismus“. Das klingt einleuchtend und ist doch abgrundtief falsch, weil Wirkungen mit Ursachen gleichgesetzt werden. Wer die Welt mit Ozeanen aus Falschgeld überschwemmt, sollte nicht die Fischer verurteilen, die darin ihre Netze auswerfen. In den USA (aber auch anderswo) ist die Geldmenge in den letzten 15 Jahren doppelt so schnell gestiegen wie das Sozialprodukt – und die Staatsschulden dreimal so schnell. Finanzkrise, Preisinflation, Bankzusammenbrüche, Vermögenswerte- und Währungszerfall sind nicht Folgen eines „Versagens des Kapitalismus“, sondern Folgen des Fiebers und Schüttelfrostes des Kapitalismus, mit deren Hilfe er die  Staats-Gifte loswerden möchte, die ihn todkrank gemacht haben: Das ungedeckte Papiergeld (das Schein- und Falschgeld namens fiat money) und die mit ihm aufgetürmten Kreditgebirge, die Inflationsmaschinen namens Zentralbanken, und den Scheinreichtum, den das Bruchteilsreserven-Bankensystem in astronomischen Dimensionen in die Welt gezaubert hat. Der Kapitalismus funktioniert hervorragend, indem er letztlich den falschen Kredit vom echten scheidet – und den falschen vernichtet.

Echter (oder guter) Kredit, das sind diejenigen Ausleihungen der Banken, die auf tatsächlichen Ersparnissen beruhen – und das sind inzwischen nur noch winzige Bruchteile des gesamten Kreditvolumens der Welt. Und falscher (oder schlechter) Kredit, das ist das Ausleihen von leerem Geld, das durch nichts gedeckt ist und hinter dem keine Ersparnisse stehen. Es ist ein Medium der Zerstörung, weil es alle Borger zu falschen Handlungen verführt: die Unternehmer zu falschen (langfristig nicht rentablen) Investitionen, die privaten Haushalte zu falschen (nicht ihrem Einkommen entsprechenden) Konsumausgaben, die Staaten zu falschen (nicht über offizielle Steuern finanzierbaren) Haushalten und die Anleger zu falschen (nicht wirklich werthaltigen) Finanz- und Wertpapier-Anlagen.

Die Zentralbanken, die geschaffen wurden, um die Banken, die sich im Wettlauf um die Ausleihung falscher Kredite gegenseitig in den Ruin treiben würden, vor dem Bankrott zu bewahren, haben im Verein mit den Regierungen jahrzehntelang eine unverantwortliche Geldpolitik betrieben, den Vorrat an echten Ersparnissen zerstört und Tsunamis falscher, zerstörerischer Kredit-Sturmfluten erzeugt. Besonders in den letzten 5 Jahren ist die Geldmenge in den meisten Ländern mit jährlich zweistelligen Zuwachsraten gestiegen und die Zinssätze wurden so weit niedergeknüppelt, dass die Realzinsen (Nominalzins minus Teuerungsrate) tief in den Negativbereich rutschten. Deutlicher konnten die Signale nicht werden, die da den Menschen verkündeten: „Sparen ist dumm, und Schuldenmachen lohnt sich.“ Es ist der Sozialismus des staatsmonopolistischen Falschgeldes und der zinspolitischen Zentralplanwirtschaft, der – wieder einmal – versagt hat, nicht der Kapitalismus. Mit kapitalistischem Geld, also mit Goldgeld, ohne Zentralbanken und ohne zentralistisch-politische Zinsdiktate, gäbe es keine (oder nur leichte und kurze) Konjunkturzyklen, weder „Booms and Busts“ noch Preisinflation, Weltfinanzkrisen und Währungszerfall.

Warum zum Teufel wurde dann der Goldstandard mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs (und in einigen Ländern erneut mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs) abgeschafft? Weil man mit echtem Geld keine Kriege finanzieren kann, sondern nur mit betrügerischem Scheingeld, mit dem man alle Sparer lautlos um ihre Vermögen bringen kann. Die entsprechenden Rechnungen kommen nach jedem Krieg in Form von Hyperinflation und Währungsreform auf den Tisch. Und warum schafft man dann das betrügerische Scheingeld nicht wenigstens heute ab? Weil alle Leute das „easy money“, das aus dem Nichts beliebig erschaffbare Schuldengeld lieben.

Die Politiker lieben es, weil man mit ihm still und leise auf Kosten aller Bürger Macht kaufen kann; die Banker lieben es, weil sie mit ihm Ozeane aus Kredit schaffen und verzinslich verkaufen können, die es in Wahrheit gar nicht gibt; die Schuldner wollen es, weil die mit ihm erzeugte Preisinflation ihre Schulden entwertet; die Anleger lieben es, weil es ihre Vermögenswerte aufbläst; und die Geschäftsleute lieben es, weil sie Kunden wollen, die mit Geld um sich werfen. ALLE Leute wollen das „leichte Geld“. Bis zum jeweils bitteren Ende. Noch niemals hat eine reine Papierwährung hundert Jahre überlebt (der byzantinische Gold-Solidus hingegen mehr als tausend Jahre). Immer und überall hat diese Ausgeburt der Hölle Kriege, Zusammenbrüche und Revolutionen erzeugt. Auch die Französische und die Russische und die deutsche (Nazi-) Revolution waren „inflationsgeboren“. So wird denn auch das grösste und irrwitzigste Papiergeld-Experiment der Weltgeschichte, das heute weltweit zirkulierende fiat money, nicht überleben. Und was sein Siechtum nach sich zieht, kann apokalyptisch werden.

Seltsam, dass die Menschen nicht erkennen, dass das papierene Luftgeld die elementarsten Menschenrechte verletzt. Es gibt ein Menschenrecht, ein Freiheitsrecht auf gesundes Geld, ein Recht auf ehrliche Verträge und auf Eigentumsschutz – auf das Verbot von Raub, Diebstahl und Betrug. Das fiat money aber verletzt alle diese Rechte eklatant. Von der politischen Kaste kann man eine entsprechende Aufklärung nicht erwarten, denn sie würde sich damit die Grundlage ihrer Macht entziehen. Grosse, übergrosse Schuld aber trifft die Ökonomen. Sie verkünden seit einem halben Jahrhundert ökonomische Mythen, allen voran die keynesianischen Mythen vom Konsum und von niedrig gesetzten Zinsen als den wichtigsten Wachstumskomponenten einer Volkswirtschaft. Man kann sich aber nicht reich konsumieren, eine ganze Volkswirtschaft genau so wenig wie eine einzelne Person. Ebenso unmöglich ist es, dass irgendjemand den wichtigsten Preis einer Volkswirtschaft kennen kann, den Preis des Geldes nämlich, der sich auf freien Märkten in Form des „natürlichen Zinses“ ergibt. Nur der Markt kann diesen Preis ermitteln und ihn je nach Angebot und Nachfrage von und nach Geld, je nach Ersparnissen und Investitionen, nach Zeitpräferenz der Menschen und Knappheitsrelationen der Ressourcen anzeigen. Jeder politisch fixierte Zins kann nur falsch sein und zu furchtbaren Verzerrungen in der Kapital- und Produktionsstruktur und im Verhalten der Konsumenten, Sparer, Investoren, Gläubiger und Schuldner führen; zu Verzerrungen, Fehlanreizen und Fehlhandlungen, die irgendwann schmerzlich korrigiert werden müssen und deren Korrektur über Rezessionen und Depressionen hinaus bis zum Niedergang und Untergang ganzer Völker reichen kann. Genau deshalb ist das Gold als Währungsmetall so wichtig: Weil es einen Anker bildet gegen den partei- und interessenpolitisch unersättlichen Appetit auf endlos erzeugtes Luftgeld und gegen den manischen Kreditwahn der Menschen; weil es Zentralbanken und ihre Geld- und Zinspolitik überflüssig macht und für die Bodenhaftung der Banker und ihrer Bankbilanzen sorgt; weil es Inflation und Teuerung gar nicht erst aufkommen lässt; weil es die Finanzminister der Welt dazu zwingt, haushälterisch mit dem Geld und Vermögen der Bürger umzugehen; und weil es die politische Kaste vor dem Grössenwahn bewahrt – und somit die Bürger vor den hässlichen Fratzen der Macht.

Warum erklären die Ökonomen diese Zusammenhänge nicht, warum machen sie diese uralten Weisheiten der Nationalökonomie nicht einem breiten Publikum – und ganz besonders den Politikern kund? Weil sie zum überwiegenden Teil selber an diese Mythen glauben, und das wiederum tun sie, weil sie daran glauben wollen. Es gibt ja im Grossen und Ganzen nur zwei Arten von Ökonomen: Solche, die in Staatsdiensten stehen, bestens honoriert werden und auf Forschungsgelder, Institutsposten und fette Honorare bei der Politikberatung hoffen (wer beisst schon die Hand, die ihn füttert) – und solche, die in Bankendiensten stehen und dort mit dem faulen Geldzauber Karriere machen und dicke Gehälter und Boni einheimsen. Ausserdem hat die Keynes’sche Knopfdruck-Ökonomie in der Sicht des Publikums aus langweiligen Moralphilosophen dynamische Gesellschaftsingenieure gemacht, deren Rat gefragt ist und die sich als Nautiker der volkswirtschaftlichen Titanic aufspielen können. Welcher Ökonom also sollte Freude an der Wahrheit haben und sich deshalb um diese bemühen. Die wenigen, die es getan haben, wie bspw. Ludwig von Mises, mussten ihr Leben lang dafür bezahlen und auf einen staatlichen Lehrstuhl ebenso verzichten wie auf einen Nobelpreis.

Dem Mises-Schüler und Kollegen Friedrich A. von Hayek konnte man schliesslich den Nobelpreis aufgrund seiner bahnbrechenden Arbeiten über Markt und Freiheit nicht mehr vorenthalten, teilte ihn aber zynischerweise und verlieh die andere Hälfte ausgerechnet dem schwedischen Ober-Sozialisten Gunnar Myrdal. Hayek aber nutzte seinen Ruhm, um mit seinem Alterswerk „Denationalisation of Money“ (1976) nachdrücklich die Entstaatlichung des Geldes und die Zulässigkeit konkurrierenden Privatgeldes zu fordern. Seine an Eindringlichkeit nicht mehr zu überbietende Warnung lautete, es gehe dabei nicht um irgendwelche technischen Details im Geldsystem, sondern um die Frage des Überlebens der Zivilisation. Die Mainstream-Ökonomen hat das nicht aus ihren eitlen Träumen gerüttelt, obwohl die Zeit drängte und das fiat money-System nach seiner endgültigen Loslösung vom Gold im Jahr 1971 in seinen finalen Veitstanz eingetreten war. „Ich wünschte“, hatte Hayek geschrieben, „ich könnte den Rat geben, langsam vorzugehen. Aber die Zeit mag kurz sein.“ Sie war kurz, und nun ist die Uhr abgelaufen. Und es wird in den nächsten Monaten und Jahren sehr wohl und mit furchtbarer Gewissheit um das Überleben der Zivilisation gehen. Die Wahrscheinlichkeit, sie bewahren zu können, sinkt von Tag zu Tag.

Schweizerzeit Zeitung vom 7.11.2008