Ökonomische Sicht auf einen konstanten Zeitgeist

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Schon im ersten Band des ORDO-Jahrbuches, der 1948 erschien, stellte sich der Kieler Ökonom Fritz W. Meyer die Frage, wie und warum staatliche Geldpolitik die Marktwirtschaft zerstört und die Völker in die Unfreiheit und Armut von Zwangswirtschaften führt.

Sein Beitrag „Geldpolitik, Vollbeschäftigung und Wirtschaftsordnung“ beginnt mit den Sätzen: „Wie kommt es eigentlich, dass in der Gegenwart die Zentralverwaltungswirtschaft in einer wachsenden Zahl von Volkswirtschaften immer weiter vordringt und das verkehrswirtschaftliche Element in den Wirtschaftsordnungen überwuchert? Sieht man von dem besonders gelagerten Fall der Wirtschaftsordnung der Sowjetunion ab, so ist diese Umwandlung der Wirtschaftsordnungen in keinem einzigen Land das Ergebnis bewusster Gestaltung gewesen. Beinahe unmerklich hat es sich vollzogen. Von Schritt zu Schritt, von Massnahme zu Massnahme wurden die verantwortlichen Wirtschaftspolitiker von Kräften, die sie nicht erkannten, auf einem Weg vorwärtsgetrieben, dessen Richtung sie nicht sahen. Die Zentralverwaltungswirtschaft ist in der Regel wie ein ungebetener Gast gekommen.“ Die oft zu hörende Begründung, das liege an der Unfähigkeit des Kapitalismus, mit den von ihm selbst ausgelösten Entwicklungen fertig zu werden, hält Meyer schon in historischer Sicht für unsinnig, „Gehen wir von der Gegenwart ein oder zwei Jahrhunderte zurück“, schreibt er, „so sehen wir prinzipiell gleichartige Umbildungsprozesse der Wirtschaftsordnungen. Aber man kann für jene Zeiten die Ursache schwerlich in der ,Vergesellschaftungsreife eines innerlich ausgehöhlten Kapitalismus’ sehen.“

Ein paar Zeilen später kommt der Autor auf den Punkt seines Interesses, indem er ausführt: „Ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte zeigt eine merkwürdige Symbiose von Geldmengenexpansion und vordringender Zentralverwaltungswirtschaft.“ Zwar müsse eine Ausdehnung der Geldmenge nicht zwangsläufig zu einer Planwirtschaft führen, „aber umgekehrt ist in der neueren Wirtschaftsgeschichte nicht ein einziger Fall nachweisbar, in dem ein wesentlicher Umbau der Wirtschaftsordnung ohne vorherige oder gleichzeitige Vermehrung des Geldumlaufs vor sich gegangen wäre.“ So sei, als Beispiel, auch der Zentralverwaltungswirtschaft der Jakobiner zur Zeit der Französischen Revolution eine Vermehrung der Umlaufsmittel durch die Schaffung der Assignaten vorausgegangen, und die Zwangswirtschaft des Ersten Weltkriegs in Deutschland von 1914 bis 1923 habe sich im Gefolge der Suspension der Goldeinlösepflicht und der daraufhin erfolgenden Ausdehnung des Geldumlaufs eingestellt. Und Meyer stellt sich die Frage: Ist das Zufall oder liegt dem ein ökonomischer Zusammenhang zugrunde? Die Antwort, welche ein deutliches Ja hinsichtlich einer stringenten Verknüpfung impliziert, sei hier mit der Schlusspassage seines Beitrags vorweggenommen, wo er warnt: Wenn der Missbrauch des Geldes nicht aufhört, sondern weiterhin die „scheinbar soziale Rauschgifttherapie des Geldes“ praktiziert wird, so tritt eines mit Sicherheit ein, nämlich „die Beständigkeit des wirtschaftlichen Elends in einer modernen Form der Sklaverei“.

Zwischen der Publikation dieser Gedanken und heute sind mehr als 60 Jahre vergangen, und wir sind um viele Erfahrungen reicher. So manch ein Zeitgenosse lässt sich von der Tatsache des Zusammenbruchs des real existierenden Sozialismus blenden und redet von einem „historischen Umbruch in Richtung Freiheit“. Welch ein Irrtum. Schon meinem Buch „Kreide für den Wolf“, erschienen inmitten der Euphorie nach dem Mauerfall und dem Zusammenbruch des Sowjetreiches, hatte ich den Untertitel gegeben: Die tödliche Illusion vom besiegten Sozialismus. Für den Ideologie-Kundigen, der um die quasireligiöse Substanz und Brisanz der sozialistischen Ideen aller Couleur weiß, war das kein prophetischer Geniestreich, sondern beklemmende Logik, schlichte Einsicht in das immer wiederkehrende Einmaleins des Sozialismus als politische Religion und irdische Heilslehre – und in die Mechanismen von Macht und Herrschaft. So ist denn heute auch Nostalgie (Ostalgie) angesagt. Ein Teil der Menschheit ist der Ansicht, dass östlich der Mauer und des eisernen Vorhangs eigentlich „alles gar nicht so schlimm“ war, und der andere Teil meint, dass nun, in der sogenannten „Freiheit“ alles „gar nicht so gut“ sei, wie man erwartet hatte. Ein belämmerndes Ergebnis eingedenk einiger Hundert Millionen Todesopfer der kommunistisch- sozialistischen Systeme — und noch mehr zerstörter Lebensentwürfe und erschütterter Seelenarchitekturen. Die Wege in die Unfreiheit werden nun noch einladender, weil die abschreckenden Gegenbilder weggefallen sind — und sie werden umso bedenkenloser beschritten, als die Unterschiede zwischen totalitären Systemen und dem, was man „freiheitlich-demokratische Rechtsordnung“ nennt, immer mehr dahinschwinden und somit für die betroffene Bevölkerung immer weniger erkennbar sind.

Doch warum haben die politischen Kasten der Welt nichts Besseres zu tun als ihre Untertanen (von Bürgern zu sprechen verbietet sich inzwischen) beim Voranschreiten auf diesen Wegen zu bestätigen, ja unablässig zu ermuntern? Die Herrschaftseliten haben schon immer erkannt — oder wenigstens instinktiv empfunden —, dass dem Staat (die angelsächsische Bezeichnung „Regierung“/government ist präziser) für seine Existenz nur zwei originäre Legitimationsgründe zur Verfügung stehen: Die Sorge um die Sicherheit der Bewohner seines Gebietes und die Garantie von Gerechtigkeit (was immer man darunter jeweils verstehen mag). Soweit es um materielle Sicherheit und um den ideologischen Wahn von der „Verteilungsgerechtigkeit“ geht, stehen den politischen Machern unzählige Maßnahmen und Institutionen zur Verfügung, die allesamt eines gemeinsam haben: Sie sind gegen die Wirkungen der ökonomischen Gesetze und somit auch gegen die Mechanismen des freien Marktes gerichtet. Nun sind aber die ökonomischen Gesetze so unumstösslich und unveränderlich wie die Naturgesetze, zum Beispiel das Gesetz der Schwerkraft. Eugen von Böhm-Bawerk hat das vor fast 100 Jahren (1914) schon in seinem berühmten Aufsatz „Macht oder ökonomisches Gesetz“ herausgearbeitet. Macht, so Böhm-Bawerk, vermag zwar viel, aber eben nicht, sich auf Dauer den Preisgesetzen des Marktes entgegenzustemmen oder diese gar zu verändern. Genau daraus aber, aus den Gesetzeshebeln gegen die Marktkräfte, besteht das Hauptinstrumentarium der Politik — sonst wäre sie ja weitgehend überflüssig (was sie in Wirklichkeit auch ist).

Weil der Staat also seine Existenz mit Funktionen rechtfertigen muss, die er nicht erfüllen kann, müssen seine Funktionäre ständig und unablässig „so tun als ob“. Naturnotwendig müssen deren Aktivitäten deshalb in Zwangsmassnahmen und in die Behinderung, Verhinderung oder Zerstörung produktiver Kräfte ausarten. Und das ist teuer. Und zwar teuer in zweierlei Hinsicht: Zum einen behindert oder verhindert es die Entstehung von Wohlstand — und zum anderen kostet es den Unterhalt eines riesigen Heeres an Beamten und öffentlich Bediensteten, sowie astronomische Mittel, um Segnungen (wie Vollbeschäftigung und permanentes Wachstum) vorzugaukeln, die angeblich nur in der Verwirklichungsmacht des zwingenden Staates liegen können. Die Ozeane aus Geld, die für diesen weltumspannenden Hokuspokus der Herrschaftsausübung und Machtausdehnung benötigt werden, erfordern eine ständig steigende Steuerlast und können ab einem gewissen Zeitpunkt überhaupt nicht mehr aus dem Steuersubstrat geschöpft werden. Man greift zum Mittel des Haushaltsdefizits und der Staatsverschuldung. Doch auch das hätte irgendwann seine Grenzen, wäre da nicht das beliebig vermehrbare Geld mit seiner Zaubermacht der endlosen Aufschuldung. Wie der Kaiser in Goethes Faust II blicken die Herrschaftseliten der Welt auf das Papiergeld und freuen sich wie jener angesichts der „durch Tausendkünstler schnell vertausendfachten“ Scheine: „Und meinen Leuten gilt’s für gutes Gold? Dem Heer, dem Hofe gnügt’s zu vollem Sold? So sehr mich’s wundert, muss ich’s gelten lassen.“

Damit war das uralte Finanzierungsproblem der Herrschaft gelöst, nämlich dass man sie nur auf zwei Wegen errichten und bewahren kann — entweder durch das Schwert oder durch Brot und Spiele. Jetzt liessen sich beides in beliebiger Menge schaffen: Millionen Schwerter (oder Panzer und Atombomben) und Brot und Spiele (sprich: Wohlfahrts- und Sozialstaat) in einem Ausmass, wie es die Menschheitsgeschichte noch nie gesehen hat. Nun liessen sich nicht nur Kleinkriege führen, sondern sogar Weltkriege von unermesslicher Zerstörungskraft. Es war kein Zufall, dass die Goldwährung mit Beginn des Ersten Weltkrieges in allen Goldstandard-Ländern abgeschafft wurde. Mit echtem Geld hätte weder der Erste noch der Zweite Weltkrieg geführt werden können – und mit echtem Geld würden sich auch die Umverteilungs-Schlammschlachten des Staates an der zivilen Wohlfahrtsfront nicht führen lassen; ebensowenig die Täuschungsmanöver mit den Parolen Vollbeschäftigung und ewige Wachstumskonjunktur. Deren Inszenierung erfordert papierenes Luftgeld in grenzenloser Fülle und endloser Zufuhr. Bei der kleinsten Konjunkturdelle kommt der Befehl: Zinsen runter und Geldhahn auf. Wenn die daraufhin sich aufblähenden Finanzblasen platzen, werden die Dellen mit noch mehr Scheingeld zugepflastert. Einstmals sprach man nur von Millionen, danach nur noch von Milliarden, und jetzt sind die Billionen dran. Einstmals sprach man von Zinssenkungen, später von Niedrigzinsen, jetzt von Nullzins oder gar Negativzins. Von einer „bekämpften“ Rezession zur anderen wachsen die (unbereinigten) Ungleichgewichte in der Volkswirtschaft und steigen die Verschuldungspegel bei Staat, Privaten und Unternehmen. Bis eines Tages nichts mehr geht. Game over.

Mit den Geldfluten steigt die Preisinflation (Inflation heisst Geldmengenvermehrung, und Preisinflation ist deren Folge). Im 20. Jahrhundert, dem Säkulum des „fiat money“, ist es zu den meisten Hyperinflationen in der Geschichte gekommen. Alle 29 Hyperinflationen — „Hyperinflation“ gleich mehr als 50 Prozent Teuerung pro Monat — fanden nach dem Ende der substanzwertbasierten Währungen statt. Mit dem Inflationstrick lassen sich die Ersparnisse der Bevölkerung still und heimlich enteignen und im staatlichen Theater-Feuerwerk namens „Ewiges Wachstum bei Vollbeschäftigung“ verbrennen. Die Aufführung währt seit Jahrzehnten und wurde von Akt zu Akt schriller. Jetzt naht das Finale. Es geht dort um mehr als um Krise und Depression. Das Finale handelt von Staatsbankrott und Währungszerrüttung, von verarmender Bevölkerung und massenhaftem Alterselend, von Suppenküchen und Zeltstädten, von Gesellschaftszerfall und Aufruhr, von moralischem Niedergang und explodierender Kriminalität, von Notverordnungen und Sondereinsatzkommandos, von Rationierungsmarken und Ausgangssperren, von marodierenden Banden und Behördenwillkür, von Totalitarismus und totaler Kontrolle, kurz: vom Ende der Freiheit und vom Ende aller Sicherheit und Gerechtigkeit. Das Truggebilde bricht zusammen, und dahinter kommt das krasse Gegenteil von dem zutage, was es vorspiegeln wollte: Die maximale Unsicherheit und die nackte Willkür.

In solchen Zeiten des Umbruchs und Zusammenbruchs schlägt die Stunde der Kultur-Marxisten. Melanie Phillips hat das in „The Daily Mail“ beschrieben und Sean Gabb, Direktor der Libertarian Alliance, hat den Inhalt rezensiert. Sein Fazit lautet sinngemäß: Der Kultur-Marxismus beruht auf dem Wissen, dass das, was eine Gesellschaft zusammenhält, ihre kulturellen Pfeiler sind: die Struktur der Institutionen Erziehung (Bildung), Familie, Recht, Medien und Religion. Verändere die Prinzipien, die sie beinhalten, und du hast die Gesellschaft zerstört, die von ihnen geformt wurde. Diese Schlüsseleinsicht wurde vom italienischen Marxismus-Philosophen Antonio Gramsci herausgestellt. Sein Denken wurde von den 68er-Radikalen übernommen, die heute im Westen an der Macht sind. Gramsci hat verstanden, dass die Arbeiterklasse sich niemals erheben wird, um die Produktionsverhältnisse zu beenden, wie der Kommunismus prophezeit hatte. Die Wirtschaft ist nicht der Pfad der Revolution. Stattdessen kann die Gesellschaft umgestürzt werden, wenn ihre moralischen Normen umgestürzt werden. Deshalb hat er den „langen Marsch durch die Institutionen“ propagiert, um die Festungen der Kultur zu erobern, um die Werte der Gesellschaft von innen auf den Kopf zu stellen. Ergänzen sollte man das durch die Einsicht Lenins, dass der sicherste Weg zur Vernichtung der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Werte in der Zerstörung des Geldes besteht. Hierzu bedarf es, um auf die aktuelle Weltfinanzkrise zurückzukommen, noch nicht einmal eines aktiven Zutuns. Man muss nur Geduld haben. Das deckungslose „fiat money“ zerstört sich von selbst. Immer wieder und wieder — und mit tödlicher Gewissheit. Die Deutschen haben es in einem einzigen Jahrhundert gleich zweimal erlebt. Und sie (aber nicht nur sie) werden es wieder erleben.

In meinem Heimatstädtchen gibt es den Brauch, zur Fastnachtszeit lebensgrosse Hexenfiguren auf Fenstergesimsen und Hoftoren anzubringen. Bei einem nächtlichen Heimweg an den schauerlichen Puppen vorbei musste ich an den Hexenwahn denken, der in Europa mehr als drei Jahrhunderte lang (besonders vom 15. bis 17. Jahrhundert) gewütet und Tausende von grausam gefolterten und verbrannten Opfern gefordert hat. So wie wir Heutigen fassungslos auf eine solche Massenhysterie und einen derart irrationalen Wahn zurückblicken, die ganz Europa befallen hatten, so werden wohl künftige Generationen, falls die Menschheit an der Selbstauslöschung vorbeischrammt – unsere Zeit als Säkulum eines irrationalen Massenwahns sehen. Und die Gelehrten und Gebildeten werden sich fragen: Wie war es möglich, dass unsere Vorfahren zwar in Marktwirtschaften leben wollten, also in Ordnungsgebilden der wirtschaftlichen, persönlichen und politischen Freiheit, die ausdrücklich als Gegenbild zu sozialistischen Organisationen verstanden wurden, aber dass sie diese Marktwirtschaften ausgerechnet auf zwei sozialistischen Fundamenten errichtet haben: auf einem staatsmonopolistischen Zwangsgeld und einem zentralplanwirtschaftlichen System des Zinsdiktats? Sie hätten doch wissen müssen, dass jede auf sozialistischen Grundpfeilern errichtete Wirtschaft und Gesellschaft früher oder später in sich zusammenfallen muss. Und wieso haben sogar die Deutschen dieses System beibehalten, nach dem es zweimal mit furchtbaren Folgen für das eigene Land und für die Welt zusammengebrochen war – und obwohl sie das gute Beispiel der vorangegangenen Goldgeldzeit erlebt hatten? Wie konnten sie sogar dem Aberglauben verfallen, dass man mit beliebig gedrucktem und per Federstrich erzeugtem Papiergeld den Reichtum der Nation erhöhen und das Wirtschaftswachstum beschleunigen könne, dass man sich „reich konsumieren“ und „reich verschulden“ könne? Die Frage, ob sich erst spätere Generationen – oder vielleicht doch schon die heute Lebenden in der Lage sehen, die schrecklichen Dimensionen eines solchen irrationalen Systems zu begreifen, wird darüber entscheiden, ob und in welcher Form es in den kommenden Jahren um mehr geht als um Krise und Depression, nämlich um nicht weniger als um die Frage des Überlebens der Zivilisation.

Dieser Beitrag von Roland Baader ist erschienen in: Eigentümlich frei (ef-magazin), Nr. 100, März 2010, S. 36-39